AusbildungSTÄRKEN: Jetzt erst recht!

ZDH-Präsident Wollseifer wirbt zum Tag des Handwerks in der „Bild am Sonntag“ für die berufliche Ausbildung.

„Derzeit lohnt sich eine Ausbildung im Handwerk mehr denn je, weil qualifizierte Handwerkerinnen und Handwerker für unsere Zukunft unverzichtbar sind – für alle anstehenden Zukunftsaufgaben beim Klimaschutz, bei der Energie- und Mobilitätswende, bei der Versorgung einer immer älteren Bevölkerung“, so ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer in der Handwerksbeilage der Bild am Sonntag anlässlich des Tages des Handwerks am 17. September.

Herr Wollseifer, wie lange muss jemand warten, der aktuell einen Handwerker braucht?

Viel zu lange – und das, glauben Sie mir, nicht nur aus Sicht der Kunden, sondern auch der Betriebe. Die würden gerne alle Aufträge zügig erfüllen, doch momentan ist das wegen fehlender qualifizierter Handwerker, nicht verfügbarer Materialien und wegen Lieferengpässen einfach nicht so schnell wie gewünscht möglich. Durchschnittlich muss man aktuell drei Monate und in den Bau- und Ausbaugewerken nochmal deutlich länger warten. Schneller geht es natürlich in akuten Notfällen.

Und was schätzen Sie, wie lange man in drei Jahren warten wird?

Zwei Entwicklungen stimmen zumindest nicht sehr optimistisch: Zum einen gehen mehr Menschen in Rente, als junge Leute nachkommen. Und von dieser kleiner werdenden Gruppe an Schulabsolventen entscheiden sich immer weniger für eine berufliche Ausbildung im Handwerk. Zum anderen werden wir für all die zusätzlichen Aufgaben im Klimaschutz und bei der Energie- und Mobilitätswende tausende zusätzliche Fachkräfte im Handwerk brauchen. Beides zusammen vergrößert die Fachkräftelücke. Und die Wartezeiten – gerade in den klimarelevanten Gewerken – steigen.

Was sind die (drei) größten Probleme, die dem Handwerk gerade zu schaffen machen?

Erstens: Der Fachkräfte- und Azubimangel. Zweitens: Das fehlende Material wegen gestörter Lieferketten und Ukraine-Krieg. Und drittens: Die hohen Energiekosten.
Energieintensive Betriebe wie Bäckereien sind besonders von den extremen Gas-Preisen betroffen.

Was muss passieren, um hier zu entlasten?

Mit gezielten direkten Härtefallhilfen muss Politik solche energieintensiven Handwerksbetriebe unterstützen. Viele Betriebe fallen aktuell durchs Raster des Energiekostendämpfungsprogramms, weil sie nach den bestehenden Regeln nicht anspruchsberechtigt sind. Das kann nicht sein, hier muss Politik dringend nachschärfen und die Energiekostenbelastung bei besonders betroffenen Betrieben abfedern. Denn es wird wohl niemand wollen, dass Bäcker nicht mehr backen, weil sie das Gas für ihre Öfen nicht mehr bezahlen können, oder dass Krankenhauswäsche nicht mehr hygienisch gereinigt wird, weil die Textilreiniger das Geld für die Prozesswärme ihrer Maschinen nicht mehr haben. Nur zwei Beispiele für Handwerksbereiche, in denen sich die Energiekosten innerhalb kürzester Zeit mehr als verdoppelt haben.

Ist jetzt trotzdem ein guter Zeitpunkt, eine Ausbildung im Handwerk zu starten?

Dafür ist immer ein guter Zeitpunkt! Ich setze noch einen drauf: Derzeit mehr denn je, weil qualifizierte Handwerkerinnen und Handwerker für unsere Zukunft unverzichtbar sind – für alle anstehenden Zukunftsaufgaben beim Klimaschutz, bei der Energie- und Mobilitätswende, bei der Versorgung einer immer älteren Bevölkerung. Die Arbeit geht nicht aus. Im Handwerk kann man hauptberuflich für die Klimaziele anpacken, kann Theorie und Praxis so verbinden, dass Innovatives und Kreatives herauskommt. Das Handwerk bietet für Jede und Jeden eine passende Karriereperspektive. Aktuell warten noch rund 30.000 Ausbildungsplätze auf alle Jugendlichen, die anpacken und gestalten wollen. In den kommenden fünf Jahren suchen rund 125.000 Handwerksbetriebe eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger: Da eröffnen sich anspruchsvolle Tätigkeitsfelder und große Chancen für erfolgreiche Fach- und Führungskarrieren.

Warum entscheiden sich aber so wenig junge Menschen für eine Ausbildung? Tausende Plätze sind aktuell nicht besetzt.

Klischeebehaftete Vorurteile und zu wenig Wissen über die Berufe und Karrieremöglichkeiten im Handwerk. Erst kürzlich hat mir ein wirklich erfolgreicher Zweiradmechatroniker-Meister berichtet, dass er nach Jahren seine Englischlehrerin getroffen und diese seinen Berufsweg enttäuscht damit kommentiert habe, dass er doch eigentlich ein so gutes Abi gemacht habe. Solange ein solches Denken und diese geringe Wertschätzung handwerklicher Arbeit gesellschaftlich verbreitet ist, muss es nicht wundern, wenn das junge Menschen abschreckt. Wir müssen alle umdenken: Eltern, Lehrer und Gesellschaft. Wir müssen uns klar darüber werden, dass berufspraktische und akademische Arbeit gleichermaßen wichtig sind, damit unsere Gesellschaft und Wirtschaft funktionieren. Und wir müssen noch deutlicher machen, dass der berufliche wie der akademische Ausbildungsweg gleichermaßen dazu führen kann, später erfüllende und anspruchsvolle Berufe auszuüben und Karriere zu machen. Das wissen aber immer noch zu wenige Jugendliche, wenn ihre Berufswahl ansteht.

Was bedeutet das für die Umsetzung der Energiewende?

Die Energiewende wie aber auch alle anderen Transformationsprozesse werden nur gelingen, wenn wir wieder mehr junge Menschen davon überzeugen, ins Handwerk zu gehen. Wir alle müssen ein Interesse daran haben, Jugendlichen die über 130 Ausbildungsberufe im Handwerk bekannt zu machen, ihnen zu zeigen, wie innovativ, digital, anspruchsvoll, kreativ und zukunftsgestaltend diese Berufe sind. Wir brauchen diese anpackenden und umsetzenden jungen Menschen, denn sie sind es, die unser Morgen machen. Uns als Handwerk, aber auch Politik und Gesellschaft sehe ich in der Verantwortung, endlich die berufliche Ausbildung wieder in den Fokus zu rücken und ihr die ideelle wie auch finanzielle Wertschätzung entgegenzubringen, die ihr mit Blick auf ihre zentrale Rolle für unser aller Zukunft gebührt.

Wenn Sie in Ihrer Funktion als ZDH-Präsident drei Wünsche frei hätten, welche wären das?

Als Präsident dieser Wirtschafts-, aber eben auch Gesellschaftsgruppe Handwerk wünsche ich mir natürlich, dass wir es durch gemeinsame Kraftanstrengung hinbekommen, die multiplen Krisen zu bewältigen, uns von den Schwierigkeiten nicht zermürben und auseinanderdividieren zu lassen und so unseren Handwerksbetrieben eine gute Zukunft zu sichern. Ich wünsche mir zudem, dass endlich die so nötige „Bildungswende“ vorgenommen wird hin zu einer echten gleichwertigen Behandlung von beruflicher und akademischer Bildung und diese Gleichwertigkeit dann auch gesetzlich verankert wird. Und ich wünsche mir, dass die Begeisterung für das Handwerk und für die täglichen Leistungen von Handwerkerinnen und Handwerker, die mich während meiner gesamten Amtszeit erfüllt hat, als Funke überspringt – damit in Zukunft noch viel mehr junge Menschen erfahren werden, wie erfüllend die Arbeit im Handwerk ist und wie stolz man darauf sein kann.

Quelle: Zentralverband des Handwerks (ZDH)

Bild: ZDH/Boris Trenkel


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