Für das Handwerk zählt die Praxis

ZDH-Präsident Wollseifer spricht mit „clavis“ über die Integrationsleistung der Handwerksbetriebe und bürokratische Hürden.

„Die große Integrationsleistung des Handwerks verdanken wir maßgeblich und in erster Linie unseren engagierten Betrieben, die sich aktiv einbringen, um ihren Beitrag zur Lösung dieser drängenden gesellschaftlichen Herausforderung zu leisten.“

ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer im Arbeits- und Integrationsmagazin „clavis“

Im Jahr 2016 waren Sie Autor eines Artikels in der clavis mit der Überschrift „Wir geben Flüchtlingen eine Chance“. Dieser begann mit dem berühmten Merkel-Zitat „Wir schaffen das“. Was hat das Handwerk seitdem beim Thema Zuwanderung und Integration geschafft?

In der Tat hat das Handwerk bei der Integration Geflüchteter seither eine Menge geschafft. Das zeigt der Blick auf die Gruppe der geflüchteten Menschen, die im Handwerk eine berufliche Ausbildung machen. Waren es 2016 rund 4.500, so ist die Zahl 2018 auf 18.700 und im Jahr 2020 auf rund 25.000 angestiegen. Von allen Auszubildenden mit einer Staatsangehörigkeit aus einem der acht häufigsten Asylzugangsländer absolviert die Hälfte eine Ausbildung im Handwerk.

Zum Vergleich: Der Anteil der Handwerksazubis insgesamt an allen Auszubildenden in Deutschland liegt bei knapp einem Drittel. Das macht im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen das überdurchschnittliche Engagement und den überproportional hohen Integrationswillen des Handwerks deutlich. Auf diese bemerkenswerte Integrationsleistung hat das Handwerk allen Grund, stolz zu sein.

Was hat aus Ihrer Sicht gut geklappt? Und an welcher Stelle hätten Sie sich gewünscht, dass es anders gelaufen wäre?

Diese große Integrationsleistung des Handwerks haben wir maßgeblich und in erster Linie unseren engagierten Betrieben zu verdanken, die sich aktiv eingebracht haben, um ihren Beitrag zur Lösung dieser drängenden gesellschaftlichen Herausforderung zu leisten. Hilfreich waren ebenso praxisgerechte zuwanderungsrechtliche Weichenstellungen, wie die Einführung einer rechtssicheren Ausbildungsduldung für junge geflüchtete Menschen, die sogenannte 3+2-Regelung, für die sich seinerzeit der ZDH stark gemacht hatte.

Einen wichtigen Beitrag haben auch die vielen von der Handwerksorganisation angestoßenen Projekte zur Integration von Flüchtlingen geleistet. Aber natürlich gab und gibt es immer noch Hürden. Neben dem zu Beginn der Flüchtlingswelle unzureichenden Angebot an Deutschkursen war und ist teilweise immer noch die Information geflüchteter Menschen über die Ausbildungs- und Karrierechancen im Handwerk nicht umfassend genug.

Das ist vor dem kulturellen Hintergrund vieler dieser Menschen wichtig, da diese in ihren Heimatländern oft ein eher negativ besetztes Bild des Handwerks vor Augen haben, das nichts gemein hat mit der beruflichen Vielfalt, dem hohen Qualitäts- und Ausbildungsniveau und dem Ansehen des Handwerks in Deutschland.

Als positives Beispiel nannten Sie in dem Text damals die Willkommenslotsen. Wie hat sich das Förderprogramm seit damals weiterentwickelt? Welche Rolle spielen die Lotsen bei der Integration?

Die Aufgabe der Willkommenslotsen ist es, Unternehmen umfassend bezüglich der betrieblichen Integration von Flüchtlingen zu informieren und geeignete Flüchtlinge passgenau zu vermitteln. Das war in den vergangenen Jahren eine sehr hilfreiche Unterstützung für unsere Betriebe und ist es auch weiter. Von den aktuell bundesweit in allen Wirtschaftsbereichen tätigen und geförderten 71 Willkommenslotsen stehen 38 unseren Handwerksbetrieben zur Seite.

Ihre Tätigkeiten haben sich in den „Coronajahren“ eher darauf konzentriert, dabei zu unterstützen, dass bestehende Vertragsverhältnisse fortgeführt werden können. Die einschränkenden Coronabedingungen haben es erschwert, neue Vertragsverhältnisse anzubahnen. Viele Willkommenslotsen haben uns berichtet, dass Bewerberinnen und Bewerber in den Reihen jungen Menschen mit Fluchthintergrund deutlich schwerer zu erreichen waren als sonst, was auch an ihrer technischen Ausstattung liegen mag.

Kontaktbeschränkungen, abgesagte Veranstaltungen und Einschränkungen bei den Sprachkursen verhinderten zusätzlich erfolgreiche Vermittlungen. Die gerade in diesem Umfeld wichtigen und notwendigen persönlichen Bindungen konnten größtenteils nicht auf digitale Formate übertragen werden. Dessen ungeachtet schätzen unsere Handwerksbetriebe jedoch die Unterstützungsmöglichkeiten durch die Willkommenslotsen sehr.

Die Ampelkoalition will Deutschland, liest man den Koalitionsvertrag, international als „modernes Einwanderungsland“ neu aufstellen. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein, und welche Rolle kann das Handwerk hierbei spielen?

Die Integration geflüchteter Menschen hat viele Handwerksbetriebe dazu gebracht, sich generell für die Beschäftigung ausländischer Fachkräfte zu öffnen. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das gerade die Zuwanderung beruflich qualifizierter ausländischer Fachkräfte deutlich erleichtert, trägt zudem dazu bei, dass im Handwerk verstärkt Drittstaatsangehörige beschäftigt werden.

Dennoch gibt es hier noch Luft nach oben. Schon die Suche beruflich qualifizierter Fachkräfte im Ausland, die bereit sind, die deutsche Sprache zu erlernen und ihren Lebensmittelpunkt dauerhaft nach Deutschland zu verlagern, ist eine Herausforderung. Wenn dann noch von den Zuwanderern ein erheblicher bürokratischer Aufwand betrieben werden muss – angefangen von der zuweilen langwierigen Beantragung und Bearbeitung von Visumsanträgen in den deutschen Auslandsvertretungen bis hin zu oft überlasteten Ausländerämtern in Deutschland-, dann wird zuwanderungswilligen Fachkräften, die das Handwerk und die deutsche Wirtschaft so dringend brauchen, der sprichwörtliche „rote Teppich“ nun nicht gerade ausgerollt.

Die Gewinnung von Auszubildenden oder Fachkräften aus dem Ausland als Maßnahme gegen den Fachkräftemangel wird aktuell auch vom ZDH erprobt. Wie kann das deutsche Handwerk seine Sichtbarkeit für Zuwanderungsinteressierte aus aller Welt sicherstellen?

Für das Handwerk zählt nicht die abstrakte Rechtslage, sondern die Praxis. Deswegen hat der ZDH gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit 2020 das Pilotprojekt „HabiZu“ (Handwerk bietet Zukunft) zur Gewinnung von Fachkräften aus Bosnien-Herzegowina gestartet. Damit sollte geprüft werden, ob das Fachkräfteeinwanderungsgesetz auch im kleinbetrieblich strukturierten Handwerk und nicht nur in Metropolregionen, sondern ebenso im ländlichen Raum funktioniert. Durchaus mit Erfolg.

So haben Ende letzten Jahres die ersten bosnischen Fachkräfte eine Beschäftigung in Handwerksbetrieben aufgenommen. Aber dieses Pilotprojekt zeigt auch, wie viel Aufwand betrieben werden muss, um Zuwanderung erfolgreich zu gestalten. Das fängt bei den Deutschsprachkursen im Herkunftsland an, geht über die Anerkennung der Berufsabschlüsse und daraus resultierender Anpassungsqualifikationen bis hin zu der für kleine Betriebe und Unternehmen unverzichtbaren Integrationsbegleitung vor Ort.

Dennoch sind solche Projekte nicht nur sehr lehrreich, sie steigern auch den Bekanntheitsgrad des Handwerks im Ausland. Zudem führt das Handwerk schon seit Jahren Ausbildungspartnerschaften in Entwicklungsländern durch, um Berufsbildungsstrukturen aufzubauen und damit den Bekanntheitsgrad des Handwerks weltweit zu steigern.

Wo sehen Sie ungenutzte Potenziale in der Ansprache von Menschen mit Migrationsgeschichte für das Handwerk und die handwerkliche Selbstverwaltung? Welche Hindernisse gibt es, diese Potenziale zu nutzen? Und was muss Ihrer Meinung nach passieren, damit die Potenziale künftig besser genutzt werden?

Das Handwerk trägt bereits seit Langem viel zu der Integration von Menschen mit einem Migrationshintergrund bei. Es hat sich dabei gezeigt, dass eine berufliche Ausbildung diese Menschen nicht nur im Betrieb, sondern auch in der Gesellschaft ankommen lässt. Häufig bleibt es nicht beim Gesellenstatus, sondern viele Beschäftigte im Handwerk mit Migrationshintergrund nutzen die Karrierechancen und qualifizieren sich weiter zur Meisterin oder zum Meister.

Damit können sie ihr eigenen Handwerksbetriebe gründen und sich in der Selbstverwaltung des Handwerks engagieren. Es wäre sehr wünschenswert, wenn sich hier noch viel mehr Migrantinnen und Migranten engagieren würden als derzeit. Ich kann hier nur appellieren, sich einzubringen und die Chance zu nutzen, mit zu gestalten.

Wir alle sind hier aufgefordert, noch mehr für eine Mitwirkung in der Selbstverwaltung zu werben – was im Übrigen auch insgesamt für alle Handwerkerinnen und Handwerker im Inland angesichts eines generell abnehmenden Selbstverwaltungsengagements gilt. Zudem haben wir den Kontakt zu Migranten-Vereinigungen intensiviert, um für das Handwerk allgemein, aber auch für eine stärkere Mitarbeit von Migrantinnen und Migranten in der Selbstverwaltung zu werben.

Sie beendeten den Text damals mit einem hoffnungsvollen „Damit vielleicht am Ende aus Heimischen und Zugewanderten ein „Wir“ wird“. Wo stehen wir in Deutschland heute auf dem Weg zu diesem „Wir“, und welchen Beitrag kann das Handwerk leisten, um dieses Ziel zu erreichen?

Insgesamt sind wir auf einem gutem Wege zu einem „Wir“. Dazu leistet das Handwerk mit seinem Ausbildungs- und Beschäftigungsengagement einen ganz wesentlichen Beitrag. Damit die Integration gelingt, ist von beiden Seiten viel Engagement, gegenseitiges Vertrauen und ein langer Atem gefordert.

Aber die Erfolge zeigen sich schon jetzt immer deutlicher – zum Wohle der Migrantinnen und Migranten sowie der anerkannten Flüchtlinge, die Deutschland als ihre neue Heimat betrachten, wie auch zum Wohle unserer deutschen Gesellschaft insgesamt, die vielfältiger und bunter wird. Wir alle sind am Ende die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die tagtäglich ihren Beitrag dazu leisten müssen, dieses Land, seine Gesellschaft, seine Wirtschaft und das Handwerk voranzubringen.

ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer im Arbeits- und Integrationsmagazin „clavis“

Quelle: Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH)
Bild: www.amh-online.de


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