Der Girls‘ Day hat ihre Begeisterung geweckt: Jana Siedle hat nach Ihrer Ausbildung am PLW teilgenommen und ist heute Deutschlands beste Dachdeckerin. Im Interview spricht sie über den Mut zum Traumberuf und darüber, warum Handwerk echter Teamsport ist.
Wie bist Du zum Handwerk gekommen?
Tatsächlich „erst“ mit 13 und über den Girls‘ Day, weil ich nicht aus einer Handwerkerfamilie komme: Am Girls‘ Day hatte ich zum ersten Mal Gelegenheit, Handwerksluft zu schnuppern. Das hat meine Berufsfindung noch nicht final beeinflusst, aber mich immerhin dazu motiviert, eines meiner Schulpraktika in einem Dachdeckerbetrieb zu machen. Aus diesem Praktikum ist dann ein Ferienjob geworden, sodass die Frage nach einer Ausbildung sich natürlich gestellt hat.
Ich hatte anfangs tatsächlich etwas Bedenken: Passt das zu mir? Schafft man so einen Handwerksberuf auch als junge Frau? Und natürlich auch: Ist eine Ausbildung wirklich das Richtige nach dem Abitur?
Neben Eltern und Freunden haben mir mein heutiger Chef und auch die Berufsberatung in der Schule geholfen. Mein Chef hat mit mir mehrere Baustellen und andere Betriebe besucht und sich zusätzlich die Zeit genommen, sich intensiv über die vielen Fort- und Weiterbildungschancen auszutauschen – das hat mir sehr geholfen. Den finalen „Schubs“ habe ich dann durch die Berufsberaterin bekommen, die direkt meinte: Jana, du weißt, was du willst. Trau dich!
Und Du wärst heute sicher nicht hier, wenn Du diese Entscheidung bereut hättest, oder?
Die Arbeit auf dem Dach macht mir jeden Tag Freude, und ich bin glücklich, dass mein Beruf so vielseitig ist. Durch meinen Ausbildungsbetrieb hatte ich auch die Chance, wirklich alle Arbeiten, die unser Handwerk mit sich bringt, kennenzulernen: Steildach, Flachdach, Fassade und Blech. Dadurch hat man mit einem großen Spektrum an unterschiedlichen Materialien und Werkstoffen zu tun – diese Vielfalt fasziniert mich einfach.
Und auch meine ursprünglichen Bedenken, ob ich das als Frau schaffe, haben sich schnell erledigt. Mein Chef hat mir von Anfang an seine Unterstützung zugesichert. Und die Kollegen, die vorher tatsächlich noch nie zusammen mit einer Frau auf der Baustelle zusammengearbeitet haben, mussten sich vielleicht anfangs etwas umgewöhnen, aber das hat sich wirklich schnell ergeben, weil wir uns über die Arbeit angefreundet haben.
Es gab und gibt zwar manchmal Momente, in denen mir jemand unterstellt, ich könne nicht dieselbe Arbeit leisten wie ein Mann. Aber das Gute am Handwerk ist: Leistung überzeugt immer. Das gilt nicht nur auf der Baustelle, sondern auch in der Berufsschule und ganz besonders beim PLW. Ich bin erste Bundessiegerin geworden, weil ich die beste Leistung abgeliefert habe. Das kann mir keiner nehmen. Und dass auch die zweite Bundessiegerin in unserem Gewerk weiblich ist, ist doch ein tolles Signal: Die Klischees, die viele Menschen noch im Kopf haben, sind schon lange überholt. Wir können zeigen: Natürlich können Frauen Handwerk!
Was konntest Du zusätzlich aus dem PLW für Dich mitnehmen?
Beim PLW geht es nicht mehr ums Bestehen, wie das noch in der Prüfung der Fall war, sondern wirklich ums Dabeisein, es geht darum, neue Leute kennenzulernen, andere Regionen, unterschiedliche Arbeitsweisen und Materialien. In meiner Hauptarbeitsprobe habe ich etwa mit speziellen Holzschindeln gearbeitet, die für einige meiner Kollegen ganz neu waren. Ich konnte dafür mehr über die Arbeit mit Naturschiefer lernen, was wir in unserem Betrieb nicht nutzen.
Man spürt die Leidenschaft, die Du für Deinen Beruf hast. Woher kommt die, was fasziniert Dich so am Handwerk?
Auf der einen Seite die Möglichkeit, Projekte von Anfang bis Ende mitzuerleben und die Unterschiede zu sehen, die man mit seiner Arbeit erreicht und gemacht hat. Wir hatten im Betrieb einmal den Fall, dass wir ein Dach nach einem Brand wiederhergerichtet haben. Das fertige Dach ist eine riesige Veränderung, die wir mit unseren eigenen Händen geschaffen haben. Es ist ein tolles Gefühl, so etwas zu können. Und das macht für mich auch einen wichtigen Punkt auf meinem weiteren Weg aus: Ich weiß nicht, ob ich für immer auf der Baustelle bleiben will. Aber ich will mich so fortbilden, dass ich dem Handwerk auf jeden Fall treu bleibe und an solchen Projekten mitarbeiten kann.
Auf der anderen Seite – und das habe ich tatsächlich auch erst während der Ausbildung gemerkt – liegen in der Vielfalt der Materialien, die wir nutzen, und der Arbeiten, die wir leisten, so viele Chancen, sich selbst und sein Handwerk weiterzuentwickeln. Was Nachhaltigkeit und Klimaschutz angeht, gibt es so viele Möglichkeiten, die ich etwa durch unterschiedliche Dämmmaterialien, die vollständig aus Naturprodukten bestehen, umsetzen kann. Ich hatte meine Ausbildung nicht deshalb angefangen, um mehr fürs Klima zu tun. Aber zu sehen, dass ich in diesem Bereich so konkret arbeiten kann, ist spannend.
Ist das auch ein Grund für Dich, andere junge Menschen zu motivieren, ihre Ausbildung im Handwerk zu starten?
Zuerst würde ich raten, Ferienjobs und Praktika zu machen. Bevor man in einem Beruf arbeitet, sieht man ihn immer viel oberflächlicher als er ist. Praktische Erfahrungen zu sammeln, hilft dabei – und auch bereits kleinere Aktionen zum Reinschnuppern, wie in meinem Fall der Girls‘ Day, bringen einen definitiv weiter.
Aber wenn vor mir jemand steht, der sich bereits einen Beruf oder eine Richtung ausgeguckt hat, allerdings noch zweifelt, würde ich definitiv sagen: Komm ins Handwerk! Wir haben für jeden und jede den passenden Beruf – und jeder einzelne davon hat ganz viele Facetten. Nach der Ausbildung hat man durch die vielen Möglichkeiten zur Fort- und Weiterbildung die Chance, sich seinen ganz eigenen Weg zu bauen. Und auf diesem Weg trifft man an allen Stellen wirklich tolle Kolleginnen und Kollegen, weil Handwerk immer auch ein Teamsport ist.
Quelle: Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH)
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